Habe den Mut...

 

Aude sapere - Wage, weise zu sein. Wage, vom bisher Gedachten und Gelernten über die Wirkungen von Arzneimitteln abzuweichen und den Blick zu öffnen für die genuine Lehre des Samuel Hahnemann. Nach 200 Jahren Homöopathiegeschichte und zahlreichen Weiterentwicklungen (aber wenig Verbesserungen) gibt es in der jüngeren Vergangenheit einen positiven Trend in Deutschland: Zurück zu den Wurzeln. Es hat nie einen erfolgreicheren Homöopathen gegeben, als den ersten: fast ein halbes Jahrhundert lang behandelte und heilte Hahnemann seine Patienten. Die Heilungsverläufe wurden von ihm akribisch protokolliert und sind heute in seinen umfangreichen Krankenjournalen abrufbar.

"Macht´s nach, aber macht es genau nach" hinterließ Hahnemann seinen Schülern.

Wer ihm folgt, kann sich entscheiden, ob er künftig "Allopath" oder "Homöopath" sein will - wer einen Mittelweg sucht, hat Hahnemann nicht verstanden.

Nach einem Studium der klassischen homöopathischen Lehre ist die Sicht auf die Welt der Medizin eine Andere. Deswegen bestehen fast schon traditionell zwei sich gegenüberstehende Lager, welche die Bedeutung der Klassischen Homöopathie für die Medizin allgemein höchst unterschiedlich bewerten.

Die erste Auflage des  Hauptwerkes Samuel Hahnemanns erscheint 1810 unter dem Titel „Organon der rationellen Heilkunde“. Ein „Organon“ (griech. „Werkzeug“) ist gemäß der Definition Immanuel Kants eine Erkenntnisanweisung. Viele Werke des Zeitalters der Aufklärung verwenden diesen Titel. Ab der zweiten Auflage von 1819 überschreibt Hahnemann sein Werk mit „Organon der Heilkunst“. Der neue Untertitel lautet: "Aude sapere!". Es ist das in der Epoche der Aufklärung viel zitierte Horaz-Wort „Sapere aude!“ (lat. „Wage, weise zu sein“) in umgekehrter Wortfolge.

Als Hahnemann 1819 mit der zweiten Organon-Ausgabe die Worte "Aude sapere!" als Untertitel wählt, ist die Epoche der Aufklärung schon längst Geschichte und die erste Kontroverse um die Homöopathie in vollem Gange. Wollte Hahnemann das Wagnis noch betonen, als er in seiner Variante den Imperativ "aude" voranstellte? Gedruckt auf dem Titel des Organon ist "Aude sapere!" die Aufforderung, sich auf die Argumente Samuel Hahnemanns, einzulassen.

Im Jahre 1783 hat Immanuel Kant seine persönliche Übersetzung des "Sapere aude!" als Essenz des Aufklärungsgedankens formuliert:

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern seiner Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“[Kant, Immanuel, 1783, Werkausgabe Bd. XI, S. 53, Suhrkamp 1977]

 

Antje Langer